Forum im Litauischen Parlament auf dem Weg zur Inter-Asso-Konferenz 2024

Am 17. November 2023 fand im Litauischen Parlament das Forum 23 zur Veränderung der BEWERTUNG von WIDERSTAND und EXIL in der ERINNERUNGSKULTUR in Litauen statt.

Die Veranstalter sprachen zu Beginn Grußworte

Professor Dr. Jonas Jakaitis (Vorsitzender der Vilniuser Sektion der Litauischen Union der politischen Gefangenen und Exilanten – Lietuvos politinių kalinių ir tremtinių sąjungos Vilniaus skyrius); Paulė Kuzmickienė, Mitglied des Parlaments, Vorsitzende der Seimas-Kommission für Freiheitskämpfe und staatliches historisches Gedenken; Dr. Marek Mutor (Wrocław, Polen – Präsident der Europäischen Plattform für Erinnerung und Gewissen – Platform of European Memory and Conscience; Dr. Gvidas Rutkauskas (Vorsitzender der Litauischen Union der politischen Gefangenen und Exilanten – Lietuvos politinių kalinių ir tremtinių sąjunga); Christian Dietrich (Erfurt, Deutschland), Präsident der Internationalen Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge und Opfer des Kommunismus Int. Ass. of Former Political Prisoners and Victims of Communism); Dr. Arūnas Bubnys, Generaldirektor des Litauischen Zentrums für Genozid- und Widerstandsforschung Lietuvos Gyventojų Genocido ir Rezistencijos tyrimo centras)

Programm:
Historische, moralische, soziale und rechtliche Bewertung des Widerstands und der Deportationen in der Nachkriegszeit in der zeitgenössischen europäischen Kultur
Moderiert von Dr. Kristina Burinskaite (Direktorin der Abteilung für Genozid- und Widerstandsforschung, LGGRTC)
Dr. Gabija Grigaite Daugirde (Stellvertretende Justizministerin der Republik Litauen): Die Bedeutung der strafrechtlichen Verantwortung für internationale Verbrechen für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Dr. Monika Rogers (Litauisches Historisches Institut; Europäische Plattform für das Gewissen der Erinnerung): Das Konzept des Exils und der Deportation während der sowjetischen Besetzung Litauens: rechtliche, ideologische, administrative und soziale Aspekte
Dr. Darius Juodis (Senior Research Fellow an der General Jonas Žemaitis Military Academy und Senior Historian, Historical Research Programs Division, LGGRTC): Antisowjetischer Widerstand in der Ukraine und Litauen: Vergleichende Aspekte
Dr. Mingailė Jurkutė: Partisanenkrieg: Woran erinnern wir uns wirklich?
Geschichte der Deportationen der litauischen Bevölkerung und die Besonderheiten des sowjetischen Völkermordes in Litauen im Kontext des Krieges in der Ukraine und des internationalen Kontextes
Moderiert von Dr. Darius Juodis
Rasa Juknevičienė (Mitglied des Europäischen Parlaments): Die Bedeutung des historischen Gedächtnisses für die Zukunft Europas
Lena Ens (Berlin, Deutschland – Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur): Erinnerung als Auftrag
Dr. Arūnas Bubnys: Verbreitung historischer Erfahrungen im internationalen Raum
Dr. Kristina Burinskaite: Wenn Propaganda nicht nur Worte sind: das sowjetische Regime gegen ehemalige politische Gefangene und Exilanten
Ronaldas Račinskas (Leiter des Sekretariats der Internationalen Kommission zur Bewertung der Verbrechen des Nazi- und des Sowjet-Besatzungsregimes in Litauen): Nationale und internationale Aspekte der Desowjetisierung
Ausstellungseröffnung
Werke des Internationalen Exlibris-Wettbewerbs anlässlich des 35-jährigen Bestehens des LPKTS (vorgestellt von Dalia Poškiene – Vorsitzende der XXVII Amateur Book Society und Prof. Dr. Jonas Jakaitis – Vilnius Section des LPKTS; Vorsitzender der Preis-Jury)

Ausstellung der Europäischen Plattform für Erinnerung und Gewissen „Der europäische Gulag“ (vorgestellt von Dr. Marek Mutor – Präsident der Europäischen Plattform für Erinnerung und Gewissen; Rasa Juknevičienė – Mitglied des Europäischen Parlaments; Radvilė Morkūnaitė-Mikulėnienė – Stellvertretender Sprecher des Seimas); moderiert von Dr. Monika Rogers (Litauisches Historisches Institut; Europäische Plattform für Erinnerung und Gewissen) und Wojciech Bednarski (Projektleiter, Europäische Plattform für Erinnerung und Gewissen)

Das Problem der Generationenkonsolidierung als Garant des historischen Gedächtnisses Moderiert von Tomas Kašėta (Doktorand an der VMU und Berater des Parlamentsmitglieds Paula Kuzmickienė)

Prof. Dr. Valdas Rakutis (Mitglied des Seimas): Vermittlung von bürgerlich-patriotischen Einstellungen an die junge Generation: Probleme und Methoden

Prof. Dr. Jonas Jakaitis (Vorsitzender der Vilniuser Sektion des LPKTS, Professor für Design): Besonderheiten der Generationskonsolidierung in der Kultur der Moderne: Probleme der Partizipation in den LPKT-Gemeinschaften…

Ramunė Driaučiūnaitė (Direktorin des Genozid-Museums): Der Fall des staatsbürgerlichen und nationalen Bildungsprogramms „Offene Geschichte“ im Museum der Opfer des Genozids

Alkas Paltarokas (Zentrum für strategische Initiativen Strateginiu iniciatyvų centras): Vanagos Lietuva – Projekte zur Integration der historischen Erinnerung

Verabschiedung der Konferenzresolution (Veröffentlichung wird nachgeholt)

Grußwort des Präsidenten der InterAsso Christian DietrichSehr geehrte … ,

ich möchte Litauen und den Verband der der politischen Opfer und Freiheitskämpfer   (Lietuvos politinių kalinių ir tremtinių sąjunga) gratulieren, dass im Parlament solch ein Forum stattfinden kann.

Der Rechtsstaat lebt von dem Vertrauen, der Bürger. Das Vertrauen gegenüber Institutionen wird dabei von der Funktionalität der Institution und nicht zu vergessen vom Vertrauen in die Amtswalter geprägt. Je wichtiger das Amt ist und je weitreichendere Kompetenzen der Repräsentant der Institution hat, desto wichtiger wird das Vertrauen in den jeweiligen Amtsinhaber.  Aus diesem Grunde war die Lustration nach dem Ende der Diktatur eine Voraussetzung der Stärkung des Rechtsstaats. Ich spreche hier als der ehrenamtliche Präsident einer Vereinigung europäischer Verbände der Opfer und Freiheitskämpfer der kommunistischen Diktaturen, der Inter-Asso. Vor 15 Jahren sagte der damalige Präsident des rumänischen Opferverbandes Constantin Ticu Dumitrescu auf unserem Kongress: „Wir müssen erkennen, dass wir Zeugen einer globalen Verschwörung gegen Lustration sind, die den Kommunismus von ‚hundert Millionen Menschen‘ gegen jegliche Haftung verteidigt.
Es ist inakzeptabel und schockierend, dass zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus Unterschiede gemacht werden. Unsere Haltung dazu gilt als extremistisch, und unsere Chance gegen diese Marginalisierung ist minimal, denn wenn wir Geheimdienste und Kommunismus lustrieren, müssen wir immer nach Moskau fahren.“

Seit fast 2 Jahren hat sich in dieser Frage in den europäischen Staaten wohl – vielleicht abgesehen von Ungarn – etwas grundlegend geändert. Der Kreml wird in der EU als eine fundamentale Bedrohung der Völkergemeinschaft verstanden und damit wird auch die Wahrnehmung seiner Politik in den letzten 100 Jahren einer Revision unterzogen.

Das korrespondiert mit einer umfänglichen Rekonstruktion der tabuisierten und durch Desinformationen unterdrückten Geschichte des Widerstands und einer Rehabilitierung der verunglimpften Opfer der sowjetischen Diktatur und ihrer Partner. Die Archäologie der Zeitgeschichte hat hunderte von geheimen Massengräbern der Opfer inzwischen in würdige Gedenkorte verwandelt. Dabei waren die Kämpfe um ihren gesellschaftlichen Platz oft sehr schmerzlich. Nicht nur die Rechtfertigungen der ehemaligen Täter hat dies behindert. Die Strategien der Destabilisierung unserer Demokratien durch Renegaten-Netzwerke, meist mit russischer Subvention und der Befeuerung von Opferkonkurrenzen und auch eine Kultur des Wegschauens und nicht Auffallens haben der selbstverständlichen Würdigung der Verteidiger des Rechts in den Geruch von Egoismus und der Störung des gesellschaftlichen Friedens gebracht.
Der gesellschaftliche Stellenwert der Opfer und Freiheitskämpfer ist in den europäischen Staaten unterschiedlich entwickelt und die Differenzen sind nach meiner Wahrnehmung eines der Vertrauensbarrieren im Zusammenwachsen Europas.

Vor einem Jahr wurde in Pitesti in Nordrumänien auf dem Friedhof ein Gedenkkreuzes für einen Geheimpolzisten errichtet. Marius Oprea, ein rumänischer Historiker sagte darauf: „Denkmäler der Helden werden für siegreichen Armeen errichtet. Die Besiegten dürfen meist ihre Toten auf den Friedhöfen begraben oder auch gar nicht. Rumänien wurde besiegt, mit Hunderttausenden Gräbern ohne Kreuz. Gewinner sind heute die Kämpfer an der „unsichtbaren Front“ also die Securisten und ihre Erben, die Denkmäler für die Helden ihres Kampfes errichten.“
Es war die Politik der Desowjetisierung bis hin zum Leninapad in der Ukraine, die in Russland als faschistisch deklariert wurde und zum Kriegsvorwand stilisiert wurde.

Um es kurz zu machen. Kennzeichen des Rechtsstaates ist es, Menschen, die für Menschenrechtsverbrechen verantwortlich waren oder diese bagatellisieren, daran zu hindern, Repräsentanten ihrer Institutionen zu machen und zum andern muss es im rechtsstaatlichen Interesse liegen, dass die Überlebenden des kommunistischen Terrors gewürdigt werden und in Würde leben können. Es sind doch die Ermordeten, Zerbrochenen, Geflüchteten, die während der Demokratisierung vor einem Dritteljahrhundert schmerzlich fehlten, so wie die Opfer der deutschen nationalsozialistischen Diktatur im westlichen Nachkriegseuropa fehlten. Den Holocaustüberlebenden ein würdiges Leben ermöglichen, das wurde zum Fundament unserer Zivilisation. Das meint nicht nur das Existenzrecht Israels als deutsche und ich hoffe auch europäischen Staatsraison. Es meinte auch eine Kultur der sozialen und materiellen Rehabilitation. Ähnliches benötigen wir auch in Bezug auf die Opfer der sowjetischen bzw. kommunistischen Gewaltherrschaften in Europa. Während sich die Frage der Lustration biologisch bald erledigt, erledigt sich die Frage des würdigen Lebens der Überlebenden nicht biologisch. Es bleibt eine Herausforderung, auch wenn die direkten Opfer nicht mehr leben. Folgen wirken über Generationen nach. Das betrifft sowohl Heimat- und Eigentumsverlust als auch die beschädigte Ehre und verschiedene Traumata. Ich danke Ihnen, dass Sie sich heute diesem Eckstein des europäischen Rechtsstaatsempfinden widmen. Ich wünsche uns gute Beratung und nachhaltige Verständigungen.
Herzlichen Dank, dass Sie uns dazu eingeladen haben und mir jetzt zugehört haben.

 

Foto 1: Wojciech Bednarski, von links nach rechts: Marek Mutor, Jonas Jakaitis, Arūnas Bubnys, Paulė Kuzmickienė, Christian Dietrich Foto 2: Arimantas Dumčius
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setzen Sie ein Lesezeichen auf den Permalink.